„Ein schmerzfreier Patient ist ein gutes Gefühl!“
Sport-Physiotherapeut Dirk Lösel ermutigt leistungsorientierte Rollstuhlfahrer, durch gezielte Übungen ihre Gesundheit zu verbessern. Von den Grundlagen der Anatomie über die optimale Haltung und Atmung, vom Warm-up über Krafttraining bis hin zu Agilität, Schnelligkeit und Regeneration. Im Interview spricht er über seine Herangehensweise, Motivation und persönlichen Erfolge.

Wieso hast du dich auf Athletiktraining mit körperlich eingeschränkten Menschen spezialisiert?
In meinem Praxisalltag als Physiotherapeut und Athletiktrainer habe ich mit den unterschiedlichsten Personen zu tun. Vom klassischen Rückenpatienten, über den leistungsorientierten Nachwuchssportler bis zum olympischen und paralympischen Spitzensportler ist alles vertreten. Mir ist es auch wichtig, hier nicht zu spezialisiert zu sein, denn aus jeder Therapie und jedem Training nimmt man Erfahrungen mit, die einem in einer anderen Therapie- bzw. Trainingseinheit zugutekommen.
Ich habe bis 2016 über 20 Jahre Basketballer der Basketball-Bundesliga und verschiedener Basketball-Nationalmannschaften betreut. Als der Bundestrainer der Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft der Herren, Nicolai Zeltinger, mich fragte, ob ich ihn im athletischen Bereich unterstützen könnte, fand ich diese Aufgabe sehr spannend und bin seitdem, zusammen mit einer Kollegin, für das Team zuständig. In unserer Praxis betreuen wir aktuell außerdem noch Athleten aus dem Para-Skisport und Rollstuhltischtennis im Rahmen eines Nachwuchsförderprojektes. Diese trainieren gemeinsam mit gleichaltrigen, nicht eingeschränkten Sportlern in Kleingruppen.
Wie gehst du bei deinem Training vor?
Grundsätzlich unterscheidet sich der Aufbau einer Einheit mit einem „Fußgänger“ und einem Rollstuhlsportler bzw. eingeschränkten Sportler nicht wesentlich. Ich habe in den letzten Jahren einen Ablauf entwickelt, an dem ich mich dabei orientiere – Testen, Korrigieren, Regenerieren.
Im ersten Schritt teste ich bestimmte Bewegungsmuster. Exemplarisch nehmen wir die Beweglichkeit der Brustwirbelsäule, die ich im Sitz teste. Finde ich hier Einschränkungen, so gibt es sogenannte „korrigierende Übungen“, die in den Trainingsplan der Sportler integriert werden. Dabei sind die Besonderheiten der Rollstuhlsportler sicherlich darin zu sehen, der ständigen Oberkörperaktivierung nach vorne entgegenzuwirken und durch das dauerhafte Sitzen, Strukturen wie das Gesäß zu aktivieren und den Hüftbeuger auf Länge zu bringen. Ein weiterer Fokus sollte auf das Thema Atmung gerichtet werden, da durch die lange Verweildauer im Stuhl das Zwerchfell nicht optimal aktiviert werden kann.
Wie motivierst du deine Athleten?
Ich hatte das Glück, in den letzten Jahren meist auf Sporttreibende zu treffen, deren Motivation etwas zu verändern, besser zu werden und sich auf ein Ziel hin vorzubereiten, schon vorhanden war. Wichtig ist es, den Athleten am Prozess der Trainingsgestaltung teilhaben zu lassen. Es ergibt wenig Sinn, ihm ein Paket an Übungen überzustülpen, ohne Sinn und Notwendigkeit zu erklären. Motivation ergibt sich oft aus dem Spaß am Training und dem Wissen, warum der Sportler etwas tun soll und was das Ziel ist.

Wie trainierst du deine Sportler auf Wettkämpfe?
Aktuell betreue ich die Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft der Herren. Auf Wettkämpfen bzw. Meisterschaften liegt der Schwerpunkt meiner Tätigkeit im Bereich des Regenerationsmanagements und dem Warm-up zum Spiel. In einem Meisterschaftssetting hat man viele Spiele in einem kurzen Zeitfenster. Hier kommt es darauf an, die Athleten nach einer Belastung bestmöglich zu unterstützen.
Im Verbund mit Physiotherapeuten und dem Mannschaftsarzt ist dies meist ein Mix aus idealer Ernährung, Physiotherapie, Dehnen, Kältetherapie und ganz wichtig: ausreichend Schlaf. Dies kann allerdings auch sehr individuell sein. Zum einen haben die Sportler unterschiedlich lange Einsatzzeiten, zum anderen wirken nicht alle Reize des Regenerationsmanagements bei jedem gleich. Auch hier ist Kommunikation ein ganz wichtiges Tool.
Mit wie vielen Sportlern trainierst du in der Regel gleichzeitig?
In der Regel in einem 1:1- bis 1:3-Setting. Hierdurch habe ich die Möglichkeit, sehr gezielt auf den einzelnen Sportler einzugehen. Die Korrektur von Bewegungsmustern und damit die Qualität der Bewegung steht dabei im Vordergrund. Was ist dein größter, persönlicher Erfolg bisher? Sicherlich der Gewinn der Bronzemedaille bei der Rollstuhlbasketball-EM auf Teneriffa 2017. Ein toller Erfolg als Team, der in dieser Form auch nur als „Team“ möglich war.
Ansonsten freue ich mich über die täglichen kleinen Erfolge in Therapie und Training. Ob es ein schmerzfreier Patient oder das Lachen und der Stolz eines Athleten nach der Bewältigung einer neuen Übungsaufgabe ist, beides gibt einem ein gutes Gefühl. Was war der emotionalste Moment deiner Karriere? Da gibt es tatsächlich keinen, den ich besonders herausstellen könnte. Zu erleben und zu begleiten, wie sich Sportler nach einer Verletzung zurück in ihren Sport kämpfen und dann wieder erfolgreich einen Wettkampf bestreiten, ist immer sehr emotional und mit ein Grund, warum mir mein Beruf so viel Freude bereitet.
Herzlichen
Dank für das Interview, Dirk!
Das Interview führte Michelle Dian.
